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Die Idee vom Internet

Ich habe mal einen Text über das Internet geschrieben. So weit ist das nichts Neues. Dieser Text ist neu. Was dabei komplett anders ist, ist die Tatsache das ich ihn auch teile und das, obwohl es nicht so journalistisch ist wie der Rest dieses Blogs.

Ich gebe für diverse Institutionen Schulungen. Eine dieser Schulungen geht um Netzwerke und IT. Ich habe dabei festgestellt, dass die Idee des Internets tot ist, auch wenn dessen Zombie uns heute bestimmt. Hier ist der eigentliche Text. Viel Spaß.

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Das Internet ist tot.

Kapitel 1

Heute trauere ich. Ich trauere, weil ich merke, dass eine Idee zu Ende gedacht zu sein scheint. Ich vermisse die ‚alte‘ Zeit, die Erfindungs- und Schaffenskraft, den Individualismus und die Idee, mit einer Kamera sehen zu können, wann der Kaffee fertig ist. First World Problems? Nein. Ein Fest der Entwicklung. Die Idee des Netzes war so simpel.

Verbinden, bauen, kommunizieren. Ich will dahin zurück. Das Internet ist kein Netz, es ist ein Gedanke. Es ist Freiheit. Es ist die Möglichkeit, Informationen zu tauschen, unabhängig, unzensiert und frei von der Macht der Verlage. Die Briefe in Bitform und die Möglichkeit, mit Mensch und Gerät zu reden, über Grenzen hinweg. Eine Fernbedienung hier kann einen TV in Australien steuern, dein Handy ein Flugzeug, dein Auto – über das Netz – ein anderes steuern. Alles ist verbunden und interagiert zum Wohl der Gemeinschaft. Teilen und gemeinsam mit Anderen an Großem arbeiten.

Kapitel 2

Dann kam der Mensch.

Der Nerd der Mobber, die Aufmerksamkeit – oder dessen Mangel. Dann kam das Geld und alles wurde durchkommerzialisiert. Informationen versteckt, Dienste geschaffen nur um andere zu im Internet beschränken und alles wurde bequemer, vereinter, vereinheitlichter konsolidiert und wir konsumiert.

Warum noch eine E-Mail schreiben, wenn es eine Seite gibt, auf der man Frauen nach Hot oder Schrott einordnen kann und nebenbei chatten kann? Wieso noch selbst beitragen, wenn man sich in ein fertiggemachtes, digitales Bett legen kann? Weshalb das Netz durchsuchen, wenn man doch alles findet? Warum eine eigene Bühne haben, wenn man sich in Gruppen tummeln und mit dem Megafon anschreien kann? Ganz einfach. Es ist bequem. Ich muss mich nur zurücklehnen, ab und an was zurückgeben und mir meine Individualität durch Netzwerke nehmen lassen, meine Daten verhökern und meine digitale Mündigkeit durch Konzernlobbys entziehen lassen.

Kapitel 3

Dann kam noch mehr Geld.

Gruppen lassen sich leicht finden und kategorisieren, ausbeuten und manipulieren. Aus reiner Bequemlichkeit lassen wir uns zu Bits degradieren, die in Bytes einer verbissenen Zukunft entgegensehen. Wir messen und an Tanzbären, die scheinbar an unseren Lippen kleben. Entspannt lehnen wir uns zurück, genießen es, das Produkt der eigens abgegebenen Freiheit zu sein und lassen uns von der Echokammer im Internet berieseln.

Wir haben Verbindung in die ganze Welt. Deine Hosentasche beherbergt aber beide Seiten der Medaille. Zu Krieg und Frieden zu A und B. Aber wollen wir überhaupt sehen, oder sollen wir das überhaupt sehen?

Es ist doch viel leichter, nur Inhalte zu sehen, die mir gefallen. Katzenvideos und die Bilder von den einem Typen, den ich neulich auf der Demo gesehen habe. Was macht der jetzt auf meinem Handy? Interessant.

Kapitel 4

Aufmerksamkeit Katsching in den Kassen. „Mehr! Mehr! Mehr! Mehr! Mehr!“, schreit der Algorithmus. Lasst uns diese Grotzkuh melken, ehe wir ihre Vernunft schlachten. Microsoft hat mal einen Bot geschrieben.

They (so hieß das Projekt) war nach einigen Stunden ein Nazi. Er hat geschrieben, was er durch Interaktion mit Menschen gelernt hatte. War zu einem von Ihnen geworden, ehe Microsoft den Stecker zog. Das war ein Bot – du bist ein Mensch. Du hast die Wahl zu entscheiden, was du sehen willst. Keiner zwingt dich dazu das gemachte Bett Social Media zu verlassen. Du musst keine Website haben – auch wenn das, das freiste wäre. Aufmerksamkeitsgeile gab es schon immer, nur jetzt haben sie das Netz konsolidiert und dich zum Produkt gemacht.

Dann kam TikTok und hat die letzte freie Entscheidung genommen. Die Aufmerksamkeitsspanne auf die einer Winnie Puuh treuen Spitzmaus gesenkt. Schnell, schnell, schnell und weg. Snackable Wegwerfcontent, Fake und die Sicht nach der nächsten Welle an herangespülten Jüngern kommt. Es scheint nicht aufzuhören.

Der Ausweg

Menschen sind soziale Wesen. Wie suchen Andere, Kommunikation und Rückhalt, die Konfrontation und Diskussion. In Social Media finden wir das nicht. Dazu ist unsere Aufmerksamkeit zu teuer und die Werbung zu zahlungskräftig.

Vielleicht sollten wie weniger konsumieren, dafür mehr schaffen. „Back to the roots“ Linux Nerds werden verstehen. Wir sollten mehr Blog schreiben, echt wahrhaftig und fair diskutieren und diese persönliche Würde nach Außen tragen, ohne uns einem Internet-Systemkontern unterzuordnen.

Klar – wenige Menschen würden deine Meinung lesen, dafür aber die, die sich dafür interessieren, die diskutieren und in die Tiefe gehen wollen. Am Ende sind das die kleinen Websiten, die kuratiert und diskussionsfördernd sind, die dein Weltbild erweitern.

Heute trauere ich um die Idee des Internets und was Menschen und Geld daraus gemacht haben, aber morgen freue ich mich über die wenigen Perlen wie die Meinungsblogs, die kleinen Rezeptseiten die von Omas und Enkeln betrieben werden oder schlicht die Faszination darüber, dass diese kleinen Bits die gerade vor dir flimmern, ihren Weg zu dir gefunden haben.


Dieser Text stammt aus 2019. Alle Informationen entsprechen dem damaligen Stand. Eine erneute Überarbeitung hat nicht stattgefunden, auch wenn der Text nachts in kreativer Müdtrunkenheit verfasst wurde.

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